«Ehe für alle» als Motor der künstlichen Fortpflanzungsmedizin

Indem «Unfruchtbarkeit» in der Gesetzesvorlage verfassungswidrig in «unerfüllten Kinderwunsch» umgedeutet wird, ist absehbar, dass sich künftig auch weitere Gruppen (Alleinstehende, schwule Paare) auf ihren unerfüllten Kinderwunsch berufen werden. Bald dürften Forderungen nach der Eizellenspende und der ethisch inakzeptablen Leihmutterschaft folgen. Es werden neu rechtliche Ansprüche auf ein Kind geschaffen – das Kind wird zum Objekt degradiert, das gerade als Lifestyle-Produkt in die Lebensplanung privilegierter Homosexueller passt.

Bis anhin kennt die Schweiz ein im Vergleich zu anderen europäischen Staaten relativ restriktives Fortpflanzungsmedizingesetz, das die ethischen Hürden vergleichsweise hochhält. Dass die «Ehe für alle» sogenannte Liberalisierungen in der künstlichen Fortpflanzungsmedizin befeuern könnte, ist durchaus realistisch, wenn wir einen Blick ins Ausland werfen. So entschied das höchste Gericht Israels im Juli 2021, die Leihmutterschaft sei innert sechs Monaten gleichgeschlechtlichen Paaren und alleinstehenden Männern zu gewähren.[1] Frankreich, das die Ehe gleichgeschlechtlichen Paaren im Jahr 2013 zugänglich machte, verabschiedete im Juni 2021 ein «Bioethik-Gesetz», das die künstliche Befruchtung allen Frauen erlaubt (auch lesbischen und alleinstehenden Frauen).[2] Andere Staaten kennen noch lockerere Fortpflanzungsmedizin-Bestimmungen. Allen gemein ist die zuvor beschlossene Einführung der «Ehe für alle». Die Schweiz darf hier mutig und entspannt einen anderen Weg gehen.

Leihmutterschaft als nächste Etappe

Die Befürworter der «Ehe für alle» weisen die Befürchtung, die «Ehe für alle» ebne den Weg für die noch verbotene Leihmutterschaft (gemäss Bundesverfassung, Art. 119, Abs. 12 lit. d), zwar von sich. Die reflexartige Abwehrstrategie hat allerdings längst Risse bekommen. Mit den Jungfreisinnigen hat bereits eine bürgerliche Jungpartei das vermeintliche Tabu gebrochen – die Partei fordert in einem Positionspapier bereits offen die Leihmutterschaft[3]. Wenn die «Ehe für alle» mit der Begründung gefordert wird, man wolle Diskriminierung beseitigen, ist es in der Tat nicht logisch, wenn mit dieser Vorlage lesbischen Paaren den Zugang zur Fortpflanzungsmedizin gewährt wird, schwule Paare von diesem Anspruch auf Kinder aber ausgenommen bleiben.

Schwulen Paaren bleibt neben der Adoption nur die Leihmutterschaft, um zu Kindern zu kommen. Es liegt deshalb auf der Hand, dass schwule Paare mit unerfülltem Kinderwunsch sich auf das lesbischen Paaren gewährte Recht berufen können, um auf rechtliche Gleichstellung zu pochen. Im gegenwärtigen gesellschaftlichen Klima wäre zurzeit wohl eine grosse Mehrheit gegen die ethisch inakzeptable Leihmutterschaft – weshalb sie auch von Anfang an von der «Ehe für alle» ausgeklammert wurde. Seit den Diskussionen um die Einführung des Partnerschaftsgesetzes, in denen die Befürworter betonten, die Forderungen nach der Ehe und der Fortpflanzungsmedizin seien kein Thema, wissen wir jedoch, dass sich politische Realitäten innert kurzer Zeit ändern können. LGBT-Exponenten der Zukunft werden sich nicht an Versprechungen gebunden sehen, die 2021 abgegeben worden sind.

Der Leihmutterschaft stehen zurecht viele Menschen ablehnend gegenüber. Indem Frauen von privilegierten schwulen Männern dafür bezahlt werden, ein Kind auszutragen, wird die Frau zur «käuflichen Gebärmaschine» degradiert. Bei einer Leihmutterschaft wird Kindern nach ihrer Geburt die Trennung von der Mutter zugemutet, um den Kinderwunsch fremder Männer zu befriedigen. Dies, obwohl wir heute wissen, dass vorgeburtliche Bindung für eine gesunde Entwicklung des Kindes zentral ist und die nachgeburtliche Trennung für Mutter und Kind ein Trauma darstellt. Das Kind als Ware, das auf Bestellung zu haben ist, ist für eine Gesellschaft mit intakten moralisch-ethischen Grundsätzen inakzeptabel. Auch der Weg zum «Designer-Baby», das nach individuellen «Qualitätsansprüchen» punkto Aussehen oder Intelligenz gefordert werden kann, ist hier nicht mehr weit.

Oft sind es zudem Frauen aus armen Ländern, die sich aus einer Notsituation heraus als Leihmütter zur Verfügung stellen. Der «industrielle Charakter» dieses Prinzips ist verstörend. Bilder aus der Ukraine, als das Land im Jahr 2020 wegen eines Corona-Lockdowns vorübergehend nicht bereist werden durfte, haben die Welt nachhaltig schockiert. In grossen Abholzentren warteten zeitweise hunderte Neugeborene darauf, von ihren «Bestellern» abgeholt zu werden – die Leihmütter hatten ihre Pflicht getan und lieferten die Kinder ab.[4]

Seitens des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) liegen mehrere Entscheide vor, welche die Konventionsstaaten dazu gezwungen haben, die Praxis der Leihmutterschaft zu erlauben. Staaten wie der Schweiz steht es zwar frei, die Leihmutterschaft zu verbieten. Gleichzeitig nimmt der EGMR ihnen aber die Mittel aus der Hand, die notwendig wären, um sie tatsächlich zu unterbinden.[5] Die europäischen Staaten sind ergo schon heute dazu verpflichtet, aus einer Leihmutterschaft geborene Kinder ins Personenstandsregister einzutragen. In der Schweiz wurden zwischen 2016 und 2019 rund 150 von Leihmüttern im Ausland ausgetragene Kinder auf diese Weise registriert.[6]

Ehe bald wirklich «für alle»?

Die Bezeichnung «Ehe für alle» für eine Gesetzesvorlage, die zwei erwachsenen, gleichgeschlechtlich empfindenden Menschen das Recht auf Ehe gewähren soll, ist unpräzise und schafft Raum für weitere Umdeutungen und Ausweitungen. Wie werden wohl die Diskussionen verlaufen, wenn in naher Zukunft hinterfragt wird, ob eine Ehe nur aus zwei Personen besteht? Mit welcher Logik wird man gegen die «Single­Familie», Polyamorie[7] oder gegen die kulturell begründete Vielehe argumentieren können, wenn der Souverän einer Ehe-Definition zugestimmt hat, die «für alle» geöffnet worden ist? Aufgrund welcher Kriterien sind Homosexuelle zur Ehe zugelassen, aber nicht Verbindungen mit mehr als zwei Personen? Dass die an Schweizer Schulen abgegebene Elternzeitschrift «Fritz und Fränzi»[8], Migros-Magazin[9], SRF[10] und weitere Medien längst Artikel über offene Beziehungen und Polyamorie veröffentlichen, zeigt in aller Deutlichkeit, wie weit fortgeschritten die Akzeptanz solcher Beziehungsformen bereits ist und mit welchem Eifer die «Vielfalts-Indoktrination» vorangetrieben wird.

Der historische und klassische Charakter einer Ehe ist in vielen Kulturen weltanschaulich verwurzelt – so auch im Christentum, welches unser Land nach wie vor prägt. Die christliche Weltanschauung definiert die Ehe als Verbindung, in der ein Mann und eine Frau sich lieben und die eine stabile und liebende Umgebung für allenfalls gezeugte Kinder bilden, die bei ihren biologischen Eltern aufwachsen dürfen. Die ethischen Unklarheiten, die durch die Auflösung dieser sehr einfachen Formel entstehen, führen letztlich zu einer Auflösung der Ehe statt zu deren Stärkung.

Geradezu grotesk mutet es an, dass die «Ehe für alle» lauthals von Kreisen befürwortet wird, welche die Ehe bis anhin als für die «freie Liebe» hinderlich bezeichnet, ja gar als kleinbürgerliches Überbleibsel vergangener Zeiten gebrandmarkt haben. Welche Absichten stecken wohl tatsächlich dahinter? Soll die Ehe etwa überflüssig gemacht werden, sobald allen Erwachsenen, unabhängig von ihren Lebensformen, Adoptionsrechte, die Samen- und Eizellenspende sowie die Leihmutterschaft zur Verfügung stehen? Beispielhaft für diese Haltung steht ein Beitrag von David Schärer in der «Weltwoche» (Nr. 27/2021): «Keine Ehe für niemanden – eine echte Veränderung der Gesellschaft wäre nicht die Öffnung der Ehe, sondern deren Abschaffung». Dennoch, so der Autor weiter, «sollte man für die ‹Ehe für alle› stimmen. Und es ist zu hoffen, dass sie mit einer kolossalen (!) Mehrheit angenommen wird.»[11]

Samenspenden – wer bezahlt?

Wie Samenspenden bis anhin in der Schweiz gesetzlich geregelt sind, erklärt beispielsweise ein Artikel von «Tamedia» von 2020 auf übersichtliche Weise.[12] Demnach müssen behandelnde Ärzte jede erfolgreiche Samenspende – die bis anhin nur verheirateten, heterosexuellen Paaren offen stehen – dem Bundesamt für Justiz melden. Dort führt das eidgenössische Amt für Zivilstandswesen ein Spenderdatenregister. Wenn ein Spenderkind volljährig wird, kann es die Herausgabe dieser Daten beantragen. Wie viele Sameneinpflanzungen im Ausland und privat – illegalerweise – durchgeführt werden, ist nicht bekannt. Hierbei erschreckt der Bezug auf eine Studie, wonach die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden (Kesb) in der Hälfte aller Kantone nichts unternehmen würde, wenn eine Mutter nach privater Samenspende den Spender nicht bekannt gibt.

Die Kosten für eine Samenspende muss das Paar heute selber tragen. Das Verfahren kostet in der Schweiz durchschnittlich 600 bis 1’200 Franken, je nach Anbieter. Da die Erfolgschancen einer Samenspende insbesondere vom Alter und möglichen Fruchtbarkeitseinschränkungen der Frau abhängen, ist mit mehreren Versuchen zu rechnen, bis die Frau schwanger werden kann.[13] Um mittels Samenspende eine Schwangerschaft herbeizuführen, muss ein Paar hierzulande gut und gerne mehrere tausend Franken bezahlen. Es erstaunt daher nicht, dass immer wieder Forderungen gestellt werden, Samenspenden von der obligatorischen Krankenversicherung bezahlen zu lassen.

Mit der Sanitas führte im Februar 2020 die erste Schweizer Krankenkasse eine sogenannte «Fruchtbarkeits-Versicherung» ein. Dabei handelt es sich um eine Zusatzversicherung für Frauen, welche die Kosten zur Erfüllung eines Kinderwunsches übernimmt. Sanitas schliesst lesbische Paare von dieser Versicherung explizit aus – mit Verweis auf das Grundprinzip einer jeden Versicherung. Versichert werden nur Ereignisse, die eintreten können, aber nicht müssen. Bei lesbischen Paaren sei von Anfang an klar, dass sie auf natürlichem Weg zusammen kein Kind werden zeugen können. So wird die Sanitas auf nau.ch zitiert: «Bei Paaren, bei denen eine Schwangerschaft auf natürlichem Wege ausgeschlossen ist, steht jedoch von Anfang an fest, dass sie auf Methoden der künstlichen Befruchtung angewiesen sind. Das widerspricht dem Grundprinzip einer Versicherung.»[14]

Die Einführung der «Ehe für alle», welche die Samenspende für lesbische Paare ermöglicht, würde die heikle Fragestellung aufwerfen, ob Versicherungen wie Sanitas künftig dazu gezwungen werden, Versicherungs-Grundsätze über Bord zu werfen.

[1] Quelle: https://www.n-tv.de/politik/Israel-erlaubt-Homo-Paaren-Leihmutterschaft-article22675308.html (aufgerufen am 25.07.2021)

[2] Quelle: https://www.spiegel.de/gesundheit/schwangerschaft/frankreich-oeffnet-kuenstliche-befruchtung-fuer-alle-frauen-a-55c30e62-bb17-4827-b0ac-cd50112c45d6 (26.07.2021)

[3] Quelle: https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/der-jungfreisinn-will-die-familie-revolutionieren-65868571 (aufgerufen am 25.07.2021)

[4] Quelle: https://www.zukunft-ch.ch/kollateralschaden-kind-wenn-die-lieferketten-der-leihmutterschaft-unterbrochen-sind/ (aufgerufen am 25.07.2021)

[5] Quelle: «Der denaturierte Mensch und seine Rechte», Grégor Kuppnick, 2021, S. 147 ff.

[6] Quelle: https://www.kaz-zivilstandswesen.ch/fileadmin/pdf/Aktuell/Leihmutterschaft-Auswertung-Umfrage-2020.pdf (aufgerufen am 26.07.2021)

[7] Beschreibung unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Polyamorie (aufgerufen am 03.08.2021)

[8] Quelle: https://www.fritzundfraenzi.ch/erziehung/sexualitat/offene-beziehung-mit-kind-eine-reportage (aufgerufen am 03.08.2021)

[9] Quelle: https://www.migros.ch/de/Magazin/2021/alternative-lebensgemeinschaften.html (03.08.2021)

[10] Quelle: https://www.srf.ch/play/tv/reporter/video/polyamorie—leben-mit-mehreren-partnern–mona-vetsch-fragt-nach?urn=urn:srf:video:d94ebd66-1e3f-41ff-bf6f-2c9f9d3e29e2 (03.08.2021)

[11] Quelle: https://www.weltwoche.ch/inhaltsverzeichnis/2021/27.html?tx_iafeditionmanager_editionmanager%5Bedition_id%5D=556339&cHash=bbdedbed3fb754edb565de94d0cdd87e (09.08.2021)

[12] Quelle: https://www.bernerzeitung.ch/der-samenspender-soll-dem-ehemann-aehnlich-sehen-616208653906 (aufgerufen am 23.07.2021)

[13] Quelle: https://www.familienplanung.de/kinderwunsch/behandlung/spendersamen/ (23.07.2021)

[14] Quelle: https://www.nau.ch/krankenkasse-diskriminiert-mit-versicherung-lesbische-frauen-65658034 (Quelle: 23.07.2021)

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