Die Abstimmungsvorlage

Die Eidgenössische Bundesversammlung stimmte der «Ehe für alle» inkl. Samenspende für lesbische Paare in der Wintersession 2020 zu. In der Schlussabstimmung vom 18. Dezember sagte der Nationalrat mit 136 zu 48 Stimmen Ja zur Vorlage, 9 Räte enthielten sich. Der Ständerat nahm die Vorlage mit 24 zu 11 Stimmen bei 7 Enthaltungen an. Die Nein-Stimmen stammten dabei hauptsächlich aus EVP, EDU, CVP/Die Mitte und der SVP.

Ein überparteiliches Komitee, bestehend aus Parlamentariern der genannten Parteien und getragen von verschiedenen Organisationen, hat gegen die «Ehe für alle» das Referendum ergriffen. Am 12. April 2021 wurden die seit dem 31. Dezember 2020 gesammelten Unterschriften in Bern eingereicht. Am 27. April 2021 erklärte die Bundeskanzlei das Referendum für offiziell zustande gekommen – mit 61’027 gültigen beglaubigten Unterschriften. Am 19. Mai teilte der Bundesrat mit, die eidgenössische Volksabstimmung auf dem 26. September 2021 angesetzt zu haben.

Vorgeschichte

Die Gesetzesvorlage «Ehe für alle», die auch den Zugang zur Fortpflanzungsmedizin umfasst, geht zurück auf eine parlamentarische Initiative von Nationalrätin Kathrin Bertschy (GLP BE). Der am 5. Dezember 2013 eingereichte Vorstoss bezweckte die Änderung von Art. 14 und Art. 38 der Bundesverfassung: Die Ehe sei den «Lebensgemeinschaften» gleichzusetzen und solle «Paaren unabhängig von ihrem Geschlecht oder ihrer sexuellen Orientierung offen» stehen.[1] Selbst die Initiantin des heute zur Abstimmung stehenden «Ehe für alle»-Gesetzespakets strebte also ursprünglich eine Verfassungsänderung an, weil sie sich deren Notwendigkeit für eine Ausweitung des Ehebegriffs offensichtlich bewusst war. Von einem geforderten Zugang zur Samenspende war in der parlamentarischen Initiative Bertschy keine Rede.

Die Debatten im Parlament und im Bundesrat haben sich über Jahre hingezogen. Die Gegner zeigten kein Verständnis für die Forderungen «nach gleichen Rechten» seitens der «LGBTIQ+[2]»-Szene. Um homo- und bisexuelle Paare rechtlich abzusichern, wurde extra das Partnerschaftsgesetz geschaffen, das 2007 in Kraft trat. Die eingetragene Partnerschaft bloss wenige Jahre nach ihrer Einführung abwertend als «Ehe zweiter Klasse» (parlamentarische Initiative Bertschy) zu bezeichnen, wurde als Ausdruck einer Salamitaktik und unehrliche Zwängerei gegenüber der Schweizer Stimmbevölkerung angesehen. Schliesslich behaupteten die Befürworter noch 2005 im Abstimmungskampf zum Partnerschaftsgesetz, dieses sei «ein vernünftiger Kompromiss» und die Ehe bleibe «in ihrer traditionellen Bedeutung unberührt.»[3]

Die Kommissionen für Rechtsfragen des Nationalrates und des Ständerates haben im Jahr 2015 zwar entschieden, der parlamentarischen Initiative «Ehe für alle» Folge zu geben. Die Verknüpfung mit dem Adoptionsrecht und dem Zugang zur Fortpflanzungsmedizin blieb aber ein Zankapfel. Die Behandlung verzögerte sich deswegen um Jahre. Insbesondere der Bundesrat sprach sich entschieden dagegen aus, die Ausweitung des Rechtsinstituts Ehe mit dem Zugang zur Fortpflanzungsmedizin (Samenspende) zu vermengen. Auch die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates (RK-N) hat noch am 30. August 2019 mit 13 zu 12 Stimmen entschieden, in der Kernvorlage auf die Öffnung des Zugangs zur Samenspende für gleichgeschlechtliche, weibliche Ehepaare zu verzichten[4].

Einen grossen Einfluss auf die parlamentarischen Beratungen hatte zudem die eidgenössische Volksinitiative «Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe», die von der damaligen Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP – heute «Die Mitte») lanciert wurde. Die Initiative sah unter anderem eine Definition der Ehe als «auf Dauer angelegte und gesetzlich geregelte Lebensgemeinschaft von Mann und Frau» in der Bundesverfassung vor[5]. In der Volksabstimmung vom 28. Februar 2016 scheiterte die Initiative nur hauchdünn. Später annullierte das Bundesgericht die Abstimmung auf Grund krass irreführender Zahlenangaben seitens des Bundesrates: Ein Novum in der Geschichte der Schweiz. Das Initiativkomitee aus CVP-Exponenten zog im Januar 2020, in Absprache mit der Partei, aus rein opportunistischen Gründen und um den Vorwurf zu entkräften, gegen die «Ehe für alle» zu sein, die Initiative zurück. Dies, kurz bevor sie erneut hätte zur Abstimmung gebracht werden sollen. Das ist aus staatsrechtlichen Gründen sehr bedenklich: Ein Initiativkomitee hätte das Recht gehabt, alleine darüber zu entscheiden, ob die Initiative erneut zur Abstimmung vorgelegt wird. Leider hat das Bundesgericht eine entsprechende Beschwerde gegen den Rückzug dieser Initiative mit formaljuristischen Motiven zurückgewiesen[6]. Es wäre staatspolitisch einzig richtig und korrekt gewesen, die Volksabstimmung über diese Initiative zu wiederholen. Die Annahme dieser Initiative hätte ausserdem bewirkt, dass die Einführung einer «Ehe für alle» definitiv nicht ohne eine Verfassungsänderung durchführbar gewesen wäre.

Am 29. Januar 2020 teilte der Bundesrat mit, dass er die Auffassung der RK-N teile, wonach die Öffnung der Ehe auf dem Weg einer Gesetzesrevision erfolgen könne. Dies entgegen der ursprünglichen Absicht der parlamentarischen Initiative «Ehe für alle». Man fordere nun «eine rasche Umsetzung», so der Bundesrat. Er gibt damit dem massiven Druck der LGBT-Lobby nach, welche schon lange fordert, die Vorlage möglichst schnell durchzubringen. Der Bundesrat vertritt aber weiterhin eine kritische Haltung, was den Zugang zur Fortpflanzungsmedizin betrifft. Dieser solle «vertieft geprüft und zu einem späteren Zeitpunkt gesondert diskutiert werden.»[7]

Am 11. Juni 2020 entschied der Nationalrat mehrheitlich, die «Ehe für alle» um den Zugang lesbischer Ehepaare zur Samenspende zu erweitern – entgegen dem Willen des Bundesrats, sowie den Nein-Stimmen der Fraktionen von SVP und Mitte. Anders als die nationalrätliche Schwesterkommission prüfte die Rechtskommission des Ständerats (RK-S) die Frage, ob die «Ehe für alle» als blosse Gesetzesänderung eingeführt werden kann, in den Folgemonaten vertieft (Siehe Kapitel 2). Sie konsultierte mehrere Rechtsgutachten und entschied am 13. November 2020 nur äusserst knapp (mit 7 zu 6 Stimmen), dass eine Gesetzesänderung ausreiche. Auch in der Ständeratsdebatte vom 1. Dezember 2020 bestätigte nur eine hauchdünne Mehrheit (22 zu 20 Stimmen), dass die «Ehe für alle» nicht gegen die Verfassung verstosse.

Nach der Bereinigung letzter Differenzen am 9. Dezember, stimmten National- und Ständerat der «Ehe für alle» inkl. Samenspende für lesbische Paare in der Schlussabstimmung vom 18. Dezember 2020 zu.

[1] Quelle: https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20130468 (aufgerufen am 15.07.2021)

[2] LGBTIQ+ ist ein Sammelbegriff für alle Menschen, die sich als nicht-heterosexuell einstufen. Die Buchstaben stehen für lesbisch, schwul (gay), bisexuell, trans, inter, asexuell und queer. Als Synonym wird landläufig das Kürzel «LGBT» verwendet – oftmals im Zusammenhang mit der Betitelung nicht-heterosexueller Lobby-Organisationen.

[3] Quelle: Argumentarium «Ja zum Partnerschaftsgesetz» des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes vom März 2005 (Seiten 2 und 3).

[4] Quelle: https://www.parlament.ch/press-releases/Pages/mm-rk-n-2019-08-30.aspx (aufgerufen am 15.07.2021)

[5] Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Eidgen%C3%B6ssische_Volksinitiative_%C2%ABF%C3%BCr_Ehe_und_Familie_%E2%80%93_gegen_die_Heiratsstrafe%C2%BB (aufgerufen am 15.07.2021)

[6] Quelle: https://www.bger.ch/files/live/sites/bger/files/pdf/de/1C_105_2020_2020_11_05_T_d_08_53_09.pdf; Bundesgerichtsurteile 1C_105/2020, 1C_129/2020 vom 07.10.2020

[7] Quelle: https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-77927.html (aufgerufen am 15.07.2021)

Gesetzesänderungen

Die «Ehe für alle» umfasst Änderungen des Zivilgesetzbuches (ZGB), des Partnerschaftsgesetzes, des Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht, sowie des Fortpflanzungsmedizingesetzes. Die detaillierten Gesetzesänderungen entnehmen Sie der Website unter www.ehefueralle-nein.ch/gesetzestext.

«Ehe für alle» – das sind die wichtigsten Änderungen:

  • Die zivilrechtliche Ehe kann neu «von zwei Personen eingegangen werden, die das 18. Altersjahr zurückgelegt haben und urteilsfähig sind» (ZGB, Art. 94). Die Ehe-Definition als Lebensgemeinschaft von Mann und Frau fällt weg – kirchenrechtliche Eheschliessungen sind laut Bundesrat nicht betroffen, was aber umstritten ist. 
  • Verheiratete lesbische Paare erhalten Zugang zur Samenspende. Die Ehefrau der Mutter gilt dabei als Mutter des Kindes, wenn dieses gemäss den Vorgaben im Fortpflanzungsmedizingesetz gezeugt worden ist, aber nicht nach einer Samenspende im Ausland.
  • Gleichgeschlechtliche Ehepaare können gemeinsam ein Kind adoptieren.
  • Besitzt ein Ehepartner oder eine Ehepartnerin eines gleichgeschlechtlich verheirateten Paares einen ausländischen Pass, kann er oder sie sich erleichtert einbürgern lassen.
  • Wenn gleichgeschlechtliche Paare eine Ehe abgeschlossen haben, gilt auch für sie der ordentliche Güterstand der Errungenschaftsbeteiligung, sofern nicht durch Vermögens- oder Ehevertrag etwas anderes vereinbart wurde. Bei eingetragenen Partnerschaften bleiben die Vermögen standardmässig getrennt (wie bei Ehepaaren, die sich für eine Gütertrennung entschieden haben).
  • Nichtheterosexuelle Paare, die bereits in eingetragener Partnerschaft leben, erhalten die Möglichkeit, diese in einem vereinfachten Verfahren in eine Ehe umwandeln zu können. Neue eingetragene Partnerschaften können nach Annahme der «Ehe für alle» nicht mehr geschlossen werden. Wer aber weiterhin in eingetragener Partnerschaft leben möchte, darf dies auch in Zukunft tun.

Weitere Argumente

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